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Freiheitsentzug, was er ist und was er aus kinderrechtlicher Perspektive bedeutet

Ende Juli 2023 wurden zwei Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahre rechtskräftig zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Die beiden haben unter anderem einen Anschlag auf eine Schule in Bruck an der Mur geplant. Diese Strafe beinhaltet einen Aufenthalt in einer Strafanstalt von mindestens acht Monaten.[1] Aber auch im Nachbarland Deutschland wurde am 28.08.2023 ein 15-jähriger zur Höchststrafe von zehn Jahren verurteilt, die in einer therapeutischen Einrichtungen abgesessen werden soll.[2] Häufig werden in den Nachrichten dabei lediglich die Strafen erwähnt, aber eine kritische Auseinandersetzung auf die Auswirkungen des Urteils fehlen. Dabei hat der Freiheitsentzug insbesondere bei Jugendlichen weitreichende Konsequenzen. Im nachfolgenden Text wird der Zusammenhang von Kinderrechten und dem Freiheitsentzug und dessen Maßnahmen aufgegriffen und erläutert.

Was ist Freiheitsentzug und was versteht man unter freiheitsentziehenden Maßnahmen?

Der Freiheitsentzug ist ein direkter Verstoß gegen Artikel 3 der UN-Menschenrechtskonvention. In diesem heißt es, dass jeder Mensch das Recht auf seine persönliche Freiheit hat. Der Freiheitsentzug ist demnach das Vorenthalten der persönlichen Freiheit. Der Entzug dieser Freiheit stellt eine Form von Gewalt dar. Nichtsdestotrotz kann dieser rechtmäßig sein. Die Europäische Menschenrechtkonvention hat mögliche Einschränkungen des Rechtes auf Freiheit aufgenommen (Art. 5 Abs. 2 EMRK). Auf nationaler Ebene sind die Möglichkeiten des Freiheitsentzuges im Bundesverfassungsrecht über den Schutz der persönlichen Freiheit aufgegriffen worden.

Aber auch auf kinderrechtlicher Ebene gelten besondere Regelungen zum Freiheitsentzug. Die Kinderrechte betreffen Kinder und Jugendliche von null bis 18 Jahren. Gemäß Art. 37 b) der UN-Kinderrechtskonvention soll unter anderem der Freiheitsentzug nur als Ultima Ratio, also als letztes Mittel angewandt werden. Des Weiteren soll der Freiheitsentzug so kurz wie möglich gehalten werden. Aber nicht nur auf internationaler Ebene gibt es spezielle Regelungen zu Kindern und Jugendlichen. Im Bundesverfassungsgesetz über die Rechte der Kinder in Art. 2 S.2 BVG Kinder heißt es „bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“

Freiheitsentziehende Maßnahmen sind somit solche, die auf Grundlage der oben genannten Gesetze, die persönliche Freiheit mindestens einschränken.

Was zählt alles unter Freiheitsentzug?

Obwohl mit dem Freiheitsentzug meist eine Gefängnisstraße assoziiert wird, zählt unter Freiheitsentzug auch der zwangsmäßige Aufenthalt in einem Krankenhaus, in einer Pflegeeinrichtung aber auch der Aufenthalt in Fremdunterbringungseinrichtungen (z.B. Krisenzentren und Wohneinrichtungen). Dabei spricht man von freiheitsentziehenden Unterbringungen. Der deutsche Bundesgerichtshof hat diese Unterbringungen definiert, demnach sind „freiheitsentziehende Unterbringung(en) (…), wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird.“[3]

Dabei ist jedoch zu unterscheiden zwischen dem Freiheitsentzug und der Freiheitsbeschränkung, im engeren Sinne spricht man von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen (FBM) und freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM). Die Freiheitsbeschränkung kann als Oberbegriff gesehen werden, indem der Freiheitsentzug ein Teilgebiet darstellt. Die Freiheitsbeschränkung kann als kurzzeitige Einschränkung der Bewegungsfreiheit sein, wie zum Beispiel das kurzzeitige Fixieren in der Pflege sowie der Platzverweis.[4] Der Freiheitsentzug ist „jede Handlung oder Prozedur, die eine Person daran hindert, sich an einen Ort oder in eine Position ihrer Wahl zu begeben (…).“[5] Dabei ist die Langfristigkeit der Maßnahme sowie die körperliche Bewegungsfreiheit ausschlaggebend.

In Bezug auf Kinder und Jugendliche lässt der Freiheitsentzug und die Freiheitsbeschränkungen weiter ausführen. Hier ist ebenfalls zwischen FBM und FEM zu unterscheiden. FBM sind dabei im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit besonders wichtig. Demnach ist es als pädagogische Grenzsetzungen, also insbesondere Maßnahmen der Erziehung, zu sehen. Als zeitlicher Rahmen ist hier die Freiheitsbeschränkung von maximal 30 Minuten zu sehen. Die FEM ist dabei auf der anderen Seite, der rechtliche Eingriff in die persönliche Freiheit, wie die Anordnung einer Freiheitsstrafe oder die Einweisung in eine fremdentziehende Unterbringung.[6] Die Rechtsgrundlage für beide Formen findet sich in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 BVG Schutz über persönliche Freiheit. Demnach kann die Freiheit bei Minderjährigen entzogen werden, wenn dies pädagogischen Erziehungsmaßnahmen verlangen.

Die Freiheitsstrafe als Freiheitsentzug

Ein großer Teil des Freiheitsentzuges ist die Freiheitsstrafe in Form eines Aufenthalts in einer Justizvollzugsanstalt oder dem Maßnahmenvollzug. Wie bereits oben beschrieben, ist der vollständige und längerfristige Freiheitsentzug in strafrechtlicher Form als allerletztes Mittel anzusehen. Strafrechtliche Verfolgungen in Österreich betreffen nur Jugendliche ab 14 Jahren. Davor spricht man bei den Kindern unter 14 Jahren von Unmündigen.[7] Nach dem Jugendgerichtsgesetz sollen dabei die Freiheitsstrafen so kurz wie möglich gehalten werden. Im Jugendstrafrecht verhalten sich dabei die Bestrafungen meist um die Hälfte des Maßes wie die Strafen im Erwachsenenstrafrecht.

In Österreich befinden sich momentan 113 Jugendliche in einer Strafanstalt. Da, wie bereits erwähnt, Jugendliche einen besonderen Schutz benötigen, gelten auch spezielle Regelungen im Strafrecht. Dabei ist insbesondere die EU-Richtlinie 2016 über die Verfahrensgarantien im Strafverfahren für Kinder in Verbindung mit dem strafrechtlichen EU-Anpassungsgesetz 2020 hervorzuheben. Inhalt dieser ist die Einhaltung der Fürsorgepflicht des Staates auch innerhalb der Strafeinrichtungen zu gewährleisten. Zudem gelten für den Umgang mit Jugendlichen in den Einrichtungen spezielle Qualitätsstandards, diese wurde mit dem Erlass über die „Mindeststandards für den Jugendvollzug und Jugendabteilungen in österreichischen Justizanstalten“ des Bundesministeriums für Justiz implementiert.[8]

Psychologische Auswirkungen

Der Aufenthalt in Gefängnissen ist gerade für Jugendliche besonders gesundheitsschädlich. Heranwachsende Menschen benötigen besondere Schutzmechanismen um ein gesundes Aufwachsen nach Art. 1 I BVG Kinder zu gewährleisten. Der Entzug der Freiheit und die damit folgenden Einschränkungen des alltäglichen Lebens, führen bei Jugendlichen zu weitreichende sozialkognitiven Problemen. Eine Studie des Institutes für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie der Uni Innsbruck (Standort Wien) zeigt auf, dass 72% der Insassen der österreichischen Gefängnisse von Formen der Gewalt (psychische, körperliche oder sexuelle) betroffen sind. Die in 2021 aufgestellte Studie stellt außerdem dar, dass insbesondere Jugendliche von den Gefängnisstrukturen betroffen sind. In der Justizvollzugsanstalt Wien-Josefstadt leiden demnach fast 90% der Insassen unter einer Form von psychischen Störung.[9]

Zurückgeführt werden kann dies auf die fehlenden Freizeit-, Bildungs- und medizinisch-therapeutische Angebote in den Strafanstalten. Dabei fehlt es denn Jugendlichen primär an sportlicher Betätigung, da vorhandene Fitnessgeräte nur unter Aufsicht verwendet werden dürfen und oftmals durch fehlende Wartungsarbeiten nicht funktionieren. Gruppensportarten, wie Fußball oder Basketball aufgrund von Gewaltpotenzial ganzheitlich verboten werden.

Auch das Bildungsangebot der Jugendlichen wird dabei meist nicht den Ansprüchen gerecht. Obwohl es seit der Beschäftigungs- und Bildungsoffensive des Bundesministeriums für Justiz, welche die Erweiterung der Kompetenzen der jugendlichen Insass:innen im Fokus hat, die Beschäftigungsquote zu erhöhen,[10]  die Angebote gestiegen sind, fehlt es meist an lehrfähigem Personal. Zudem erhalten erst Jugendliche spezielle Bildungsangebote, wenn das Strafmaß 18 Monate übersteigt. Zuvor sind die Jugendlichen in sogenannten Gefangenenhäuser untergebracht. In diesen gibt es kaum bis gar keine Bildungsangebote.  Bildungsangebote sind neben der Möglichkeit einen Schulabschluss zu absolvieren, auch die Möglichkeit eine Lehre anzufangen. Da die Jugendliche im Durchschnitt nur acht Monate Freiheitsstrafe absolvieren müssen, bleibt ihnen der Zugang zur Bildung versperrt.[11] Dies ist ein  direkter Verstoß gegen Artikel 28 der UN-Kinderrechtkonvention.

Die Studie zeigt neben dem Obengenannten auch die gestörte Beziehung zwischen den Insass:innen und den Justizbeamt:innen auf. Demnach hat jeder sechste der Befragten Gewalt vom Personal erfahren. [12]Dies widerrechtliche Verhalten des Personals führt zu einem gestörten Verhältnis, sodass die Jugendliche sich innerhalb der Unterbringung nicht wohl fühlen können.

All diese aufgeführten Problematiken führen zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft der Kinder und Jugendlichen, was darauffolgend dazu führen kann, dass Strafen verlängert werden oder es zu Wiederholungstaten kommt.

Die Zustände in den Strafanstalten sind aus kinderrechtlicher Perspektive besonders problematisch. Kinder und Jugendliche haben, wie bereits oben erwähnt, das Recht auf die bestmögliche Entwicklung ihrer Persönlichkeit sowie ein Recht auf Schutz von Gewalt. Zusammenfassend ist hervorzuheben, dass die Missstände in den freiheitsentziehenden Unterbringungen, nicht auch zuletzt wegen fehlendem Personal, zu starken gesundheitlichen Problemen bei Jugendlichen führen.

Ausblick

Insbesondere der Wahrnehmungsbericht der Volksanwaltschaft an den Landtag vergangenen Herbst sowie die Studie des Institutes für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie der Uni Innsbruck öffnen den Blick der Öffentlichkeit auf die oben beschriebenen Missstände, womit der Druck auch auf die Politik steigt weitere Schutzmechanismen für Jugendliche innerhalb freiheitsentziehender Unterbringungen in den Gesetzen zu implementieren.

Weiterführende Informationen zum Thema Freiheitsentzug von Kindern in Österreich und die Empfehlungen der UN Global Study finden sich auf der Website des Boltzmann Instituts.

 

[1] Siehe der Standard:  https://www.derstandard.de/story/3000000180963/zwei-jugendliche-wegen-anschlagsplaenen-auf-schule-in-bruck-an-der-mur-verurteilt (aufgerufen am 25.08.2023)

[2] Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/15-jaehriger-nach-mord-zu-zehn-jahren-jugendstrafe-verurteilt-19133450.html (aufgerufen am 28.08.2023)

[3]  Siehe BGH, Beschl. v. 11.10.2000 – XII ZB 69/00, Abschnitt III a)

[4] Siehe Juraforum: https://www.juraforum.de/lexikon/freiheit (aufgerufen am 24.08.2023)

[5] Siehe Bleijlevens / Wagner / Capezuti /Hamers, Physical Restraints: Consensus of a Research Definition Using a Modified Delphi Technique.  Journal of the American Geriatrics Society, 1/2016, S. 2307–7310.

[6] Siehe Projekt Pädagogik: https://www.paedagogikundrecht.de/freiheitsentzug/ (aufgerufen am 14.08.2023)

[7] Siehe §1 I Nr. 1 JGG

[8] Siehe Wahrnehmungsbericht der Volksanwaltschaft an den Wiener Landtag über die Jugend in Haft, 9/22 Nr. 1.3

[9] Siehe Hofinger/Fritsche, Gewalt in der Haft, Ergebnisse einer Dunkelfeldstudien Österreichs Justizanstalten, 3/21 S. 18-25, S. 88-258

[10]  Siehe Bundeskanzleramt: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/nachhaltige-entwicklung-agenda-2030/erfolgsgeschichten-agenda-2030/bildungsmassnahmen-fuer-jugendliche-und-junge-erwachsene-im-strafvollzug.html (aufgerufen am 14.08.2023)

[11] Siehe Wahrnehmungsbericht der Volksanwaltschaft an den Wiener Landtag über die Jugend in Haft, 9/22 Nr. 2.1

[12] Siehe Hofinger/Fritsche, Gewalt in der Haft, Ergebnisse einer Dunkelfeldstudien Österreichs Justizanstalten, 3/21, S. 205