Ein Recht auf Zukunft: Generationengerechtigkeit und Kinderrechte auf dem Prüfstand

Spätestens durch die im Frühjahr 2023 von zwölf Kindern und Jugendlichen eingebrachte Klimaklage, hat die Verbindung zwischen Kinderrechten und Klimaschutz einen Bekanntheitsschub erlangt. Dennoch gab es auch schon davor eine immer intensivere Auseinandersetzung mit der unter der Bezeichnung „ökologische Kinderrechte“ zusammengefassten Thematik. Grund genug um hier einen kurzen Überblick zu den für Österreich relevanten (kinder-)rechtlichen Grundlagen zu geben.

Was sind ökologischen Kinderrechte?

Was sind also ökologische Kinderrechte? Im Grunde genommen können darunter alle Rechte von Kindern und Jugendlichen verstanden werden, die einen konkreten Bezug zu Umwelt- und Klimaschutz aufweisen. Diese Herangehensweise verwendete beispielsweise das UN-Kinderrechte-Komitee bei dem bereits 2016 abgehaltenen General Day of Discussion (2016)[i] zu ökologischen Kinderrechten. Auch der UN – Menschenrechtsrat hat einen  Report zu Children´s Rights and the Environment (2018)[ii] veröffentlicht, der sich dem Zusammenhang von Kinderrechten und Umwelt- und Klimaschutz gewidmet hat. Zudem wurden auf völkerrechtlicher Ebene die im Dezember 2019 im Rahmen der COP 25 verfasste „Zwischenstaatliche Erklärung über Kinder, Jugend und Klimaschutz”[iii] und die im Oktober 2020 ergangene UN-Resolution zur „Verwirklichung von Kinderrechten durch eine gesunde Umwelt“ von Österreich unterstützt.[iv]

Besonders interessant ist auch die als historisch bezeichnete Entscheidung des UN-Kinderrechte-Komitees zu der Verbindung von Kinderrechten und Klimaschutz. Hier hielt das Komitee fest, dass es sich bei der Klimakrise um eine Kinderrechtskrise handelt.[v]

Die kinderrechtlichen Grundlagen

Die Verbindungen vom Klimaschutz zu den Kinderrechten findet sich, wie oben bereits erwähnt, schon in der UN-Kinderrechtskonvention (KRK). Hier gibt es gleich mehrere Ansatzpunkte, die ein – zumindest implizit mitbedachtes – Recht auf den Schutz vor negativen Umweltauswirkungen von Kindern und Jugendlichen beinhalten. Konkret finden sich die Verknüpfungen insbesondere in:[vi]

  • Art 6 KRK (Recht auf Leben und Entwicklung)
  • Art 24 KRK (Recht auf den Schutz der Gesundheit)
  • Art 12 iVm Art 13 KRK (Recht auf Information und Partizipation)
  • Art 27 KRK (Recht auf einen angemessenen Lebensstandard)

Der zentralste Ankerpunkt ist dabei gemäß Art. 24 Abs. 2 lit c UN-KRK im Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz zu finden. Hierin wird normiert, dass „die Gefahren und Risiken der Umweltverschmutzung zu berücksichtigen sind“.

Auch für Österreich hatte diese Implementierung der ökologischen Kinderrechte in der KRK bereits konkrete Auswirkungen. Im letzten Überprüfungsprozess, bei dem die Umsetzung der Kinderrechte in Österreich überprüft wurde, sprach das UN-Kinderrechte-Komitee folgende Empfehlungen in Bezug auf ökologische Kinderrechte aus. Österreich wurde empfohlen:[vii]

  • Empfehlung 35 Lit. a) „seine Klimaschutzpolitik, insbesondere in Bezug auf eine Verringerung der Treibhausgasemissionen gemäß seinen internationalen Verpflichtungen, mit den Grundsätzen des Übereinkommens vereinbar ist, wozu auch das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit und auf einen angemessenen Lebensstandard gehört, und dass die besondere Verwundbarkeit und die Bedürfnisse von Kindern sowie ihre Ansichten bei der Umsetzung, Kontrolle und Bewertung dieser politischen Maßnahmen systematisch berücksichtigt werden“.
  • Empfehlung 35 Lit. b) „seine politischen Maßnahmen im Hinblick auf den Verkehrssektor und die Auswirkungen der mit diesem Sektor verbundenen Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen auf die Kinderrechte bewerten und darauf aufbauend eine mit ausreichenden Ressourcen ausgestattete Abhilfestrategie erarbeiten sowie alle Subventionen zur Förderung von Verkehrsträgern, die die Rechte von Kindern auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit untergraben, beseitigen“.

Gerade die erste Empfehlung ist besonders interessant, da sich die später noch näher zu behandelnde Klimaklage ebenfalls auf die Untätigkeit Österreichs im Zusammenhang mit der Treibhausgasreduktion stützt.

Wie sind die ökologischen Kinderrechte in Österreich verankert?

In Österreich wurden bekanntlich eine ausgewählte Anzahl an Bestimmungen aus der KRK in das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (BVG Kinderrechte)[viii] übergeleitet. Wie in der Konvention findet sich auch hier keine Norm die konkret den Namen „ökologische Kinderrechte“ trägt. Dennoch enthält das BVG Kinderrechte, insbesondere in Artikel 1, Regelungen die in enger Verbindung zu der oben genannten Begriffsdefinition ökologischer Kinderrechte stehen. Geregelt ist dabei in Art. 1, dass jedes Kind den Anspruch auf „den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit“ hat.[ix]

 

a) Bestmögliche Entwicklung und Entfaltung:

 Das Recht auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung ist bereits in der KRK an verschiedenen Stellen verankert.[x] Ausgegangen wird dabei von einem ganzheitlichen Zugang. Das bedeutet, dass unter anderem die psychische, physische und soziale Entwicklung miteingeschlossen ist.[xi] Zu erkennen ist hier  bereits der in die Zukunft gerichtete Charakter des Art. 1 BVG Kinderrechte. Es ist dabei nicht nur auf bestehende Rechtsverletzungen gerichtet, sondern betrifft auch solche, die eine Beeinträchtigungen in der Zukunftsgestaltung darstellen.

b) Generationengerechtigkeit:

 Eine Besonderheit des Art. 1 BVG Kinderrechte stellt in jedem Fall die Implementierung der Generationengerechtigkeit dar. Was unter der „Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit“ genau gemeint ist, wird vom Gesetz nicht definiert. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere gravierende  bzw. irreversible Eingriffe in gesamtgesellschaftlich relevante Bereiche, die nachfolgende Generationen belasten, wie zB im Klimaschutz, als Verstöße gegen das grundrechtliche Gebot der Wahrung des Kindeswohls unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit, zu werten sind.[xii]

Ein weiterer Aspekt der auch aus Sicht ökologischer Kinderrechte nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist das in Art. 4 BVG Kinderrechte verankerte Recht auf Partizipation. Hierunter wird  verstanden, dass Kinder und Jugendliche das Recht haben, entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife, bei den sie betreffenden Entscheidungen gehört und ernst genommen zu werden.[xiii]

Worum ging es in der Klimaklage?

Die im Frühjahr 2023 von zwölf Kindern und Jugendlichen eingebrachte „Klimaklage“ ist technisch gesehen keine Klage, sondern eine Individualbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof.[xiv] Inhaltlich enthält sie das Begehren der Beschwerdeführer:innen, gewisse Passagen des Klimaschutzsgesetzes (KSG) aufzuheben.

Das KSG hat zum Ziel, die „koordinierte Umsetzung wirksamer Maßnahmen zum Klimaschutz zu ermöglichen“. Dies wird jedoch aktuell insbesondere dadurch verunmöglicht, dass der letzte Verpflichtungszeitraum, für den Maßnahmen festgelegt wurden, zwischen 2013 und 2020 bestand.[xv] Er ist somit schon seit langem ausgelaufen. Somit fehlen aktuell laufende Klimaschutzmaßnahmen.

Die Klimaklage bezieht sich deshalb insbesondere auf die Streichung der an verschiedenen Stellen des KSG festgehaltenen Verhandlungspflicht.[xvi] Argumentiert wird dabei, dass die bloße Pflicht zur Verhandlung über Klimaklagen das tatsächliche Tätigwerden hemmt.[xvii] Als inhaltliche Grundlage werden dabei insbesondere die oben angeführten Argumente aus Art. 1 BVG Kinderrechte herangezogen.[xviii] Dabei wird die Verbindung daran festgemacht, dass die Untätigkeit und das Fehlen an Maßnahmen direkt in die Rechte der Kinder und Jugendlichen eingreift.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Individualbeschwerde zurückgewiesen und sich somit inhaltlich nicht dazu geäußert, wie die Verbindung zwischen Kinderrechten und Klimaschutz zu bewerten ist. Es bleibt also weiterhin spannend, welche konkreten Verpflichtungen sich aus Art. 1 BVG Kinderrechte in Bezug auf den Klimaschutz ergeben bzw. wie diese in Hinblick auf die aktuell bestehenden Klimaschutzmaßnahmen Österreichs zu bewerten sind.

Wie geht es weiter?

Erkennbar ist, dass die Auseinandersetzung mit den ökologischen Kinderrechten und auch Fragen der Generationengerechtigkeit stark zugenommen hat. Aus kinderrechtlicher Sicht ist ein zentrales Ereignis in diesem Zusammenhang schon absehbar: Das UN-Kinderrechte-Komitee arbeitet momentan an einem allgemeinen Kommentar zum Thema „children’s rights and the environment with a special focus on climate change“. Hierzu ist der erste Entwurf  bereits abrufbar, welcher schon einen spannenden Einblick in die Ausrichtung des Dokuments und Zuversicht für die Stärkung der ökologischen Kinderrechte gibt.[xix]

 

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[i] Siehe Committee on the Rights of the Child, Reprot of the 2016 Day of general Discussion (2016).

[ii] Siehe Human Rights Council, Report of the Special Rapporteur on the issue of human rights obligations relating to the enjoyment of a safe, clean, healthy and sustainable environment (2018).

[iii] Siehe https://www.childrenvironment.org/declaration-children-youth-climate-action (zuletzt abgerufen am 7.4.2023).

[iv] UN Human Rights Council, A/HRC/RES/45/30, 13. Oktober 2020.

[v] UN-Kinderrechtskommission, Chiara Sacchi et al. vs. Argentina, CRC/C/88/D/104/2019, 11. November 2021.

[vi]  Siehe Committe on the Rights of the Child, General Comment No 15 (2013), on the right of the child to the enjoyment of the highest attainable standard of health (art. 24).

[vii] Committee on the Rights of the Child, CRC/C/AUT/CO/5-6, 10. Februar 2020, Rz 35.

[viii] BGBl I 2011/4.

[ix] Art. 1 BVG Kinderrechte.

[x] Siehe Öhner, Jedes fünfte Kind ist von Armut bedroht, in Juridikum 2/2022 185f; siehe auch Handig/Öhner, Gebietet Generationengerechtigkeit Klimaschutz? Zum sozialen Grundrecht auf Wahrung des Kindeswohls nach Art 1 BVG Kinderrechte, RdU 2022/120, 229.

[xi] Vgl. Sax/Hainzl, Die verfassungsgeschichtliche Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Österreich, 1999, 161; siehe auch Öhner, Jedes fünfte Kind ist von Armut bedroht, in Juridikum 2/2022 186.

[xii] Siehe Handig/Öhner, Gebietet Generationengerechtigkeit Klimaschutz? Zum sozialen Grundrecht auf Wahrung des Kindeswohls nach Art 1 BVG Kinderrechte, RdU 2022/120, 230.

[xiii] Art. 4 BVG Kinderrechte.

[xiv] In diesem Text soll sie aber zur besseren Verständlichkeit dennoch weiterhin als Klimaklage bezeichnet werden.

[xv] BGBl. I Nr. 106/2011.

[xvi] Siehe § 3 Abs. 2 KSG.

[xvii] Siehe hierzu in der Klageschrift die unter unter folgendem Link abrufbar ist: https://www.climatelaw.at/presse.html (zuletzt abgerufen am 28. Juni 2023).

[xviii] Zusätzlich wird auch noch mit dem in Art. 7 B-VG festgehaltenen Gleichheitssatz eine unsachgemäße Lastenverteilung argumentiert.

[xix]  Siehe unter https://www.ohchr.org/en/documents/general-comments-and-recommendations/general-comment-no-26-childrens-rights-and (zuletzt abgerufen am 28. Juni 2023).