Coronakrise: Brandbeschleuniger oder Warnsystem und Veränderungsmotor für das Bildungssystem?
Anlässlich des Welttags der Bildung am 24. Jänner fordert die KJA das Aufgreifen von Schwachstellen im Bildungsbereich und unterstreicht das Recht von Kindern auf Lernen in Gemeinschaft
Die Coronakrise schafft viele Probleme, auch im Bildungsbereich. „Diese Probleme entstehen aber nicht irgendwo, sondern an ganz bestimmten Stellen“, betont Kinder- und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs. „Nämlich dort, wo vorher schon Schwachstellen waren.“
Deutlich wird dies derzeit an der übergroßen Last, die arme und armutsgefährdete Kinder und Familien zu tragen haben. Auch Personal- und Raummangel sind chronische Probleme in Kindergarten und Schule, die sich jetzt besonders negativ auswirken.
Bildungsungleichheit jetzt nachhaltig bekämpfen
Österreich wurde schon bisher in Nationalen Bildungsberichten und PISA-Studien fehlende Bildungsgerechtigkeit bescheinigt. Nun zeichnet sich ein noch stärkeres Auseinanderklaffen von schulischen Leistungen und damit Zukunftschancen ab.
„Aber hinter der Ungleichheit im Bildungswesen stehen keine Naturgesetze“, sagt dazu Kinder- und Jugendanwältin Dunja Gharwal. „Es sind vielmehr politische Entscheidungen, die etwa die so genannte Bildungsvererbung in Österreich auf hohem Niveau halten. Entsprechend brauchen wir auch politische Anstrengungen, um Nachteile auszugleichen.“
Wenn wir wollen, dass alle jungen Menschen die Chance bekommen, über sich hinauszuwachsen, Eigenständigkeit und Zusammenhalt zu leben und Krisen aller Art zu meistern, dann ist der Weg klar: Wir brauchen Ganztagsschulen, um den Faktor familiäre Unterstützung schrumpfen zu lassen. Wir brauchen mehr Platz und wesentlich mehr Personal für individualisiertes, auch eigenständiges Arbeiten: KindergartenpädagogInnen, LehrerInnen und Unterstützungspersonal im sozialarbeiterischen, psychologischen, medizinischen, Assistenz- und administrativen Bereich. Wir brauchen gemeinsame inklusive Bildung bis zum Ende der Pflichtschulzeit und mehr Raum für Selbstbestimmung und Individualisierung. Wir brauchen eine durchgängige, integrative und mehrsprachigkeitsbewusste Sprachbildung über die gesamte Bildungslaufbahn. Wir brauchen neue Formen der Leistungsüberprüfung und vielfältigere, motivierende Formen der Rückmeldung. Wir brauchen mehr Unterstützung für herausfordernde Standorte. Wir brauchen mehr Freiräume, um Dinge anders zu denken, über Bekanntes hinauszugehen und sich einzubringen – mit Theater und künstlerischen Strategien, sozialem Lernen, Austausch und Mitbestimmung und -gestaltung.
Gleichzeitig müssen wir kurzfristig alles unternehmen, um die vergrößerte Ungleichheit wieder zu verringern. Dazu braucht es besonders dringend Ergänzungs- und Förderunterricht, individuell angepasste Lösungen für jedes Kind sowie zusätzliches Personal.
Die Kinder- und JugendanwältInnen sind sich einig: „Ob die Coronakrise zum Brandbeschleuniger für Bildungsungleichheit und Chancenvernichtung wird oder zum Warnsystem und Veränderungsmotor für eine krisensichere, gerechtere Zukunft der Bildung, das liegt an den Entscheidungen, die jetzt getroffen werden.“ Dass auch positive Veränderung schnell gehen kann, hat uns die Coronakrise im Bildungsbereich ja letztlich neben allen Schwierigkeiten gezeigt. Sei es bei der Digitalisierung, neu erworbener Selbstständigkeit oder Selbstorganisation.
Kinder brauchen Kinder
Aktuell haben es Kinder und Jugendliche sehr schwer. Vielen macht die erzwungene soziale Isolation zu schaffen. Darunter leidet letztlich auch das Lernen. Hier braucht es einen Lichtblick. „Auch in Zeiten von Distance Learning sehen wir: Gute Lernbedingungen und Zusammenhalt sind zwei Seiten einer Medaille“, fasst Kinder- und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs die Problematik zusammen. Und er plädiert an alle EntscheidungsträgerInnen: „Das Recht auf Bildung muss auch in Zeiten von Corona gewährleistet sein. Und dazu braucht es Lösungen, die miteinbeziehen, dass sozialer Kontakt und persönlicher Austausch für eine gesunde Entwicklung unabdingbar sind. Suchen wir also Lösungen, die das Infektionsrisiko minimieren und gleichzeitig Kinder und Jugendliche vor psychischen Krisen schützen. Kleine, stabile Gruppen kombiniert mit regelmäßigen Testungen wären hier ab Februar vom Kindergarten bis zu Universitäten und Fachhochschulen wünschenswert.“