Was sind „Kidfluencer“ und ist kidfluencing kinderrechtlich problematisch?
Die Welt wird immer digitaler. Insbesondere die sozialen Medien gewinnen zunehmend an Bedeutung und sind für viele Menschen gar nicht mehr wegzudenken. Immerhin 67% der österreichischen Bevölkerung nutzt die sozialen Medien täglich. Das gewaltige Potential, welches von den sozialen Medien ausgeht, hat auch die Marketing-Branche längst erkannt. Immerhin ist das Influencer-Marketing derzeit einer der am schnellsten wachsenden Bereiche der Weltwirtschaft. So gaben rund 44% der befragten Marketingverantwortlichen in Österreich an, bereits Influencer-Marketing genutzt zu haben. Dabei sind bezahlte Kooperationen mit sogenannten „Kidfluencern“ längst kein neuartiges Phänomen mehr. Im Gegenteil: Der jüngsten Generation der Influencer wird ein immer größerer Stellenwert beigemessen. Doch was sind Influencer Marketing und Kidfluencer eigentlich und wieso könnte das kinderrechtlich problematisch sein? Diesem Thema soll sich dieser Beitrag aus kinderrechtlicher Perspektive widmen. Anhaltspunkt ist die UN-Kinderrechtskonvention sowie der 2021 vom UN-Ausschuss für die Rechte von Kindern verfasste General Comment No. 25, welcher die Rechte der Kinder im digitalen Umfeld zum Thema hat.
Doch zunächst:
Was ist Influencer Marketing?
Influencer-Marketing meint die gezielte Durchführung von bezahlten Werbekampagnen auf Social-Media, um die Wertigkeit des beworbenen Produktes zu steigern sowie die Zielgruppe zum Kauf anzuregen.
Was sind Kidfluencer?
Das Wort „Kidfluencer“ setzt sich aus dem englischen Wort für Kind (= „kid“) sowie der Berufsbezeichnung „Influencer“ (vom englischen Verb „influence“ = Einfluss) zusammen. Demzufolge sind „Kidfluencer“ Kinder bzw. Jugendliche, die Inhalte in den sozialen Medien teilen, um andere Personen zu beeinflussen. Ziel dieser Vorgehensweise ist das Generieren möglichst vieler Follower (= Nutzer, welche anderen Nutzern in den sozialen Medien folgen) sowie das Eingehen bezahlter Kooperationen. Da für das Erstellen der meisten Social-Media-Konten (etwa Instagram und YouTube) ein Mindestalter von 13 Jahren erforderlich ist, muss das Konto von den Kidfluencer – Eltern verwaltet.
Digitale Kinderrechte – Was ist das und welche Rechte habe ich?
Die UN-Kinderrechtskonvention ist ein Vertrag, welcher die Rechte von Kindern und Jugendlichen festlegt und ihrem Schutz dient. Die Staaten, welche diesen Menschenrechtsvertrag unterzeichnet haben, verpflichten sich damit zur Einhaltung und Umsetzung der Kinderrechte – so auch Österreich. Im Wesentlichen kann man die verschiedenen Rechte folgenden drei „P“ zuordnen:
• Provision: Das Recht auf Förderung und Entwicklung
• Protection: Das Recht auf Schutz
• Participation: Das Recht auf Beteiligung
Doch wie können die Rechte der Kinder und Jugendlichen in der digitalen Welt gewährleistet werden? Dieser Frage widmete sich auch der UN-Ausschuss für die Rechte von Kinder in seinem 2021 verfassten General Comment No. 25.
Zum Recht auf Förderung und Entwicklung (Provision) gehören das Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung, das Recht auf Bildung, das Recht Gruppen zu bilden und beizutreten sowie das Recht auf Freizeit, Spiel, Kultur und Kunst. Im Hinblick auf eine zunehmend digitale Welt spielt das Recht auf Förderung und Entwicklung eine immer wichtigere Rolle. Medienkompetenz ist nicht nur eine gefragte Eigenschaft im späteren Berufsleben, sondern trägt auch zu einem gesunden Umgang der jungen Menschen mit den sozialen Medien bei. Zudem bieten die sozialen Medien ganz neue Austausch- und Entwicklungsmöglichkeiten. Es einfacher geworden mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, Vereinigungen zu bilden oder diesen beizutreten. Ebenso dienen die sozialen Medien als Informationsmedium und tragen somit maßgeblich zur Bildung und Entwicklung der Kinder und Jugendlichen bei. Daher muss allen jungen Menschen der Zugang zur digitalen Welt offenstehen.
Dem Recht auf Schutz (Protection) lassen sich folgende Rechte zuordnen: Das Recht auf keine Diskriminierung, das Recht auf Schutz der Privatsphäre, Schutz vor Gewalt, Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung sowie auf Schutz vor sexuellem Missbrauch. Bezogen auf den digitalen Raum bedeutet dies, dass alle Kinder in den sozialen Medien gegen Diskriminierung, Gewalt (z.B. Cyber-Mobbing) oder sexualisierte Formen der Gewalt wie bspw. Cyber-Grooming geschützt werden müssen. Dabei gilt es zugleich den Datenschutz und die Privatsphäre der Kinder sicherzustellen. Ebenso sind die Kinder vor wirtschaftlicher Ausbeutung zu schützen.
Unter das Recht auf Beteiligung (Participation) werden das Recht auf Achtung der Meinung von Kindern, das Recht der Kinder und Jugendlichen auf freie Meinung und Information sowie das Recht auf Zugang zu Information gefasst. Das Kundtun der eigenen Meinung gegenüber einer Vielzahl von Menschen ist durch die sozialen Medien leichter geworden. Diese Niederschwelligkeit bietet den Vorteil, dass die Meinungen von Kindern und Jugendlichen somit sichtbarer werden. Zugleich schafft sie ganz neue Zugänge der Beteiligung junger Menschen an demokratischen Prozessen. Beteiligung setzt jedoch voraus, dass die Kinder und Jugendlichen tatsächlich einen Zugang zu den bereitgestellten Informationen haben. So darf das Recht der Kinder und Jugendlichen auf freie Meinungsäußerung und Information nicht ohne Weiteres eingeschränkt werden bzw. es bedarf hierfür eines gewichtigen Grundes.
Wie könnten die digitalen Kinderrechte durch die Tätigkeit als Kidfluencer verletzt werden?
Nun da die digitalen Rechte der Kinder und Jugendlichen sowie das Wissen um Kidfluencer geklärt sind, wollen wir uns gemeinsam möglichen problematischen Aspekte einer Tätigkeit als Kidfluencer widmen.
Insbesondere den Aspekt der Kinderarbeit gilt es kritisch zu überprüfen. Mit der Umsetzung des BVG Kinderrechte steht das Verbot der Kinderarbeit in Österreich im Verfassungsrang.
Doch was genau ist eigentlich Kinderarbeit?
Gemäß einer gemeinsamen Einstufung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und UNICEF kann Arbeit in folgende drei Kategorien unterschieden werden: leichte, erlaubte Tätigkeit, Kinderarbeit und gefährliche Arbeit. Leichte, erlaubte Tätigkeiten dürfen Kinder bereits im Alter zwischen 12 und 14 Jahren ausüben, insoweit diese nicht ihre Entwicklung sowie ihre psychische und physische Gesundheit beeinträchtigen. Der Umfang dieser Beschäftigung darf dabei nicht mehr als 14 Stunden pro Woche betragen, muss ungefährlich sein und darf die Kinder nicht vom Schulbesuch abhalten.
Kinderarbeit hingegen ist gemäß der Definition der ILO „Arbeit, die psychisch, physisch, sozial oder moralisch gefährlich und für Kinder schädlich ist; und/oder ihre Schulbildung beeinträchtigt, indem sie ihnen die Möglichkeit nimmt, die Schule zu besuchen, sie verpflichtet, die Schule vorzeitig zu verlassen oder von ihnen verlangt, dass sie versuchen, den Schulbesuch mit übermäßig langer und schwerer Arbeit zu verbinden.“ Davon abzugrenzen ist die gefährliche Arbeit, welche in Artikel 3 (d) des ILO-Übereinkommens Nr. 182 definiert ist als „Arbeit, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist.“
In Österreich gilt für Kinder unter 15 Jahren grundsätzlich ein gesetzliches Kinderarbeitsverbot. (Auf einen Überblick der gesetzlichen Ausnahmen wird an dieser Stelle verzichtet). Dabei definiert das Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz (KJBG) „Kinderarbeit“ als „Beschäftigung von Kindern mit Arbeiten jeglicher Art“. Personen, welche die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben und zwischen 15 und 18 Jahre alt sind, gelten nach dem Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz (KJBG) als Jugendliche. Sie dürfen einer Beschäftigung nachgehen. Konkrete gesetzliche Bestimmungen, welche die Influencer-Tätigkeit als Kinderarbeit im Sinne des KJBG einordnen, gibt es nicht. Der derzeitige Mangel an rechtlichen Regelungen zur Kidfluencer-Tätigkeit ist höchst problematisch, da die Kinder und Jugendlichen somit nur unzureichend vor Kinderarbeit und wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt sind. Die aktuell bestehende Grauzone sollte daher schnellstmöglich beseitigt werden. Dabei würde es sich anbieten, den bestehenden § 6 KJBG, welcher bereits Vorschriften zu Foto-, Film- und Tonaufnahmen von Kindern für gewisse Veranstaltungen enthält, durch entsprechende Regelungen zu ergänzen.
Freier Wille & Freizeit oder Zwang & Arbeit?
Oftmals ist den Kindern die Tragweite ihrer Tätigkeit als Kidfluencer noch gar nicht bewusst. Dies erleichtert die Instrumentalisierung und finanzielle Ausbeutung der Kidfluencer – etwa durch die eigenen Eltern. Damit würden die Eltern gegen das Recht auf Achtung der Meinung des Kindes sowie gegen das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung verstoßen. Doch auch wenn die Initiative tatsächlich von den Kindern ausgeht, könnte dennoch eine Verletzung des Rechts auf Freizeit, Spiel, Kultur und Kunst vorliegen. Etwa indem die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen oder das Einhalten von Erholungspausen nicht mehr möglich ist. Die Tätigkeit als Kidfluencer könnte zudem negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen haben. So wird durch den permanenten Druck neuen Content erstellen und posten zu müssen, das Erlernen eines gesunden Umgangs mit den sozialen Medien erschwert. Ebenso bleibt den Kidfluencern faktisch weniger Zeit für andere wichtige Dinge wie Schule, weitere Hobbys oder Freunde.
Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte der Kidfluencer
Ein weiterer problematischer Aspekt der Kidfluencer-Tätigkeit ist der Verlust der Privatsphäre der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Durch das Teilen persönlicher Inhalte im Netz werden die Kinder und Jugendlichen zur Zielscheibe für Hass und Gewalt und können Opfer von sogenannten „Shitstorms“ werden. Shitstorms sind gemäß der Definition des Dudens ein „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“. Daneben gibt es jedoch auch zahlreiche weitere Gefahren, wie bspw. den Missbrauch von persönlichen Daten. So können Abonennt:innen oder Pädosexuelle bspw. Aufenthaltsorte und Gewohnheiten der Kidfluencer ermitteln und für eigene Zwecke missbrauchen. Auch das sogenannte „Cyber-Grooming“ ist eine ernstzunehmende Gefahr. Cyber-Grooming beschreibt das Vorgehen, bei welchem sich (meist männliche) Erwachsene im Internet das Vertrauen der jungen Menschen erschleichen, mit der Absicht diese sexuell zu belästigen oder gar zu missbrauchen. Ebenso besteht die Gefahr der Verletzung der Persönlichkeitsrechte des jungen Menschen. Das Recht am eigenen Bild zählt etwa zu den sogenannten Persönlichkeitsrechten. Dieses besagt, dass keine Bilder oder Videos ohne die Einwilligung der betroffenen Person öffentlich zugänglich gemacht werden dürfen, wenn dessen/deren berechtigte Interessen verletzt würden.
Fazit
Die Tätigkeit als Kidfluencer birgt diverse kinderrechtliche Risiken. Angesichts der mangelnden Schutzvorschriften von Kidfluencern ist ein akuter Handlungsbedarf gegeben. Aus kinderrechtlicher Perspektive bedarf es:
– einer klaren gesetzlichen Regelung der Grauzone „Kidfluencer“ – Insbesondere im Hinblick auf die unzureichenden Kinder- und Jugendschutzvorschriften im KJBG. Hierfür könnte der bestehende § 6 des KJBG um weitere Vorschriften zur Kidfluencer-Tätigkeit ergänzt werden.
– einer Regelung des wirtschaftlichen Aspekts der Kidfluencer-Tätigkeit. Dabei gilt es vorrangig festzulegen, wer über die erzielten Erlöse verfügen darf. Vor dem Gesichtspunkt des Rechts der Kinder auf Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung ist eine solche Regelung aus kinderrechtlicher Sicht unerlässlich.
– der Formulierung konkreter Zugangsvoraussetzungen für die Tätigkeit als Kidfluencer. Dies soll sicherstellen, dass die Kidfluencer durch ihre Tätigkeit weder in ihrer Gesundheit, noch in ihrer körperlichen oder geistigen Entwicklung gefährdet werden. Ebenso muss der Besuch der Schule zu jeder Zeit gewährleistet sein und die Sittlichkeit des Kindes darf nicht gefährdet werden.
Zur Autorin:
Jana Sonner studiert Public Management an der Hochschule Kehl in Deutschland. Im Rahmen ihres Studiums hat sie ein Verwaltungspraktikum bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien absolviert.
Quellenangaben:
https://de.statista.com/themen/6743/influencer-marketing-in-oesterreich/#topicOverview
https://lehrerweb.wien/aktuell/single/news/medienheldinnen-wenn-kinder-zu-influencerinnen-werden
https://de.statista.com/themen/6743/influencer-marketing-in-oesterreich/#topicOverview
https://www.saferinternet.at/news-detail/kinderrechte-in-der-digitalen-welt/
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/influencer-marketing-100361
https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention
https://www.saferinternet.at/news-detail/kinderrechte-in-der-digitalen-welt/
https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_norm/—normes/documents/normativeinstrument/wcms_c182_de.htm
https://www.oesterreich.gv.at/themen/arbeit_beruf_und_pension/jobsuche/1/Seite.171520.html
Vgl. § 4 Abs. 1 KJBG, Art. 3 BVG Kinderrechte.
Vgl. § 3 KJBG iV.m. § 2 Abs. 1 KJBG.
https://www.schau-hin.info/grundlagen/kinder-influencer-social-media-erfolg-aus-dem-kinderzimmer
https://www.duden.de/rechtschreibung/Shitstorm
https://www.onlinesicherheit.gv.at/Services/Technologie-Schwerpunkte/Kinder-und-IT-Sicherheit/Cyber-Grooming.html
https://www.oesterreich.gv.at/themen/onlinesicherheit_internet_und_neue_medien/internet_und_handy___sicher_durch_die_digitale_welt/7/Seite.1720440.html