Ja zur Kindeswohlkommission, ja zu kinderrechtskonformen und demokratieförderlichen Gesetzen!

Die KJA begrüßt die Einrichtung einer Kindeswohlkommission und weist gleichzeitig auf den umfassenden Handlungsbedarf für Kinder und Jugendliche und unsere Demokratie hin.

Erfreut zeigt sich Kinder- und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs über die Kindeswohlkommission zu asyl- und bleiberechtlichen Entscheidungen: „Es ist höchste Zeit, sich intensiv mit dem Kindeswohl in diesem Bereich zu beschäftigen. Denn die Vorrangigkeit des Kindeswohls ist ein Grundprinzip der Kinderrechte. Und es wird in Österreich nicht ausreichend berücksichtigt. Das bedeutet viel Leid für jene, zu deren besonderem Schutz wir uns als Gesellschaft verpflichtet haben: Kinder und Jugendliche.“

Kinderrechtliche und demokratiepolitische Mängel bei Asyl-, Bleibe-, Staatsbürgerschafts- und Wahlrecht

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien ist seit ihrem Bestehen mit der besonders prekären kinderrechtlichen Lage von geflüchteten Kindern und Jugendlichen konfrontiert. „Der Handlungsbedarf ist umfassend“, stellt Ercan Nik Nafs fest. Und er fügt hinzu: „Die Kinder- und Jugendanwaltschaften sind gerne bereit, ihre Expertise hierzu der Kindeswohlkommission zur Verfügung zu stellen.“

Nik Nafs plädiert zudem dafür, im Sinne der Kinderrechte und der Demokratie breiter zu denken. Denn zumindest in vier zentralen Bereichen schaffen österreichische Gesetze und Rechtspraxis derzeit kinder- und menschenrechtliche, aber auch demokratiepolitische Probleme: „Erstens wird das Kindeswohlvorrangigkeitsprinzip in asyl- und bleiberechtlichen Entscheidungen missachtet. Zweitens ist das Menschenrecht auf Schutz des Privat- und Familienlebens durch das Fehlen eines humanitären Bleiberechts nicht gesichert. Drittens ist der Erwerb der Staatsbürgerschaft in Österreich so erschwert wie in fast keinem anderen europäischen Land. Und viertens bedeutet die Kopplung des Wahlrechts an die Staatsbürgerschaft den Ausschluss großer Teile der Bevölkerung von politischer Mitsprache.“

Der Kinder- und Jugendanwalt bringt es auf den Punkt: „In Kombination ergibt sich aus kinderrechtsfeindlicher Asylrechtspraxis, mangelhaftem Aufenthaltsrecht, restriktivem Staatsbürgerschaftsrecht und einem Wahlrecht, das an die Staatsbürgerschaft gekoppelt ist, ein gesellschaftlicher Ausschluss riesigen Ausmaßes. Diese Regelungen verletzen die Rechte von Einzelnen, insbesondere von Kindern. Darüber hinaus haben sie aber auch gravierende Auswirkungen auf gesellschaftlicher Ebene. Denn sie behindern Sicherheit, Zugehörigkeit und Teilhabe, das Wachsen einer demokratischen Kultur und einer freien, gleichen und solidarischen Gesellschaft. Und damit erweisen sie unserer Demokratie einen Bärendienst.“

Empfehlungen für ein kinderrechtskonformes und demokratieförderliches Rechtswesen

Der Wiener Kinder- und Jugendanwalt empfiehlt in diesem Sinn folgende Änderungen beim Asyl-, Staatsbürgerschafts-, Aufenthalts- und Wahlrecht:

Asylrecht:

  • verpflichtende umfassende Kindeswohlprüfung durch unabhängige ExpertInnen im gesamten Asylverfahren, insbesondere im Fall einer Abschiebung. Kriterien hierzu sind u. a.: Dauer des Aufenthalts im Verhältnis zum Alter; Bindung an und Sozialisation in Österreich; physische und psychische Gesundheit, Traumafolgen; Zugang zum Gesundheitssystem, Sicherheit, Lebens-, Bildungs- und Entwicklungschancen im Herkunftsland
  • im Fall einer Rückführung umfassende Begründung (wie laut Judikatur des EGMR vorgesehen), warum im Einzelfall die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung schwerer wiegen als die Interessen des Kindes an der Fortsetzung des Aufenthalts
  • Bestellung eines Kinderbeistands

Staatsbürgerschaftsrecht:

  • österreichische Staatsbürgerschaft für alle hier geborenen Kinder und Jugendlichen, wenn ein Elternteil mindestens fünf Jahre in Österreich lebt
  • Einbürgerung von Kindern und Jugendlichen, die mindestens vier Jahre in Österreich leben
  • vollständige Entkopplung des Verleihs der Staatsbürgerschaft an Kinder und Jugendliche von finanziellen Fragen (keine Verfahrenskosten, keine Vorschreibung von Verdienstgrenzen der Erziehungsberechtigten)
  • angemessener Schutz und Beistand für Kinder und Jugendliche bei Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft (etwa aufgrund von Doppelstaatsbürgerschaften)

Bleiberecht:

  • ein humanitäres Bleiberecht, das im Aufenthaltsrecht verankert ist, in der Kompetenz der Länder liegt (unter Einbeziehung der jeweiligen Wohngemeinde) und die Wahrung des Menschenrechts auf Privat- und Familienleben sichert

Wahlrecht:

aktives und passives Wahlrecht auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene nach 5-jährigem ununterbrochenem Aufenthalt (unabhängig von der Staatsbürgerschaft)