Familien in schwierigen Lebenslagen früh unterstützen
Um ein Kind zu erziehen braucht es ein ganzes Dorf, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Mit jedem weiteren Kind steigt die Herausforderung. Das Familiengefüge kann schnell ins Kippen kommen, wenn soziale Netzwerke ausfallen, Eltern mit der Aufgabe der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder überfordert sind oder andere schwierige Lebenssituationen hinzukommen – etwa ein fehlender Partner, Krankheiten oder finanzielle Probleme . Ein Workshop widmet sich der Frage, wie man Familien in schwierigen Lebenslagen besser und vor allem rechtzeitig unterstützen kann. Er wurde von der Kinder- und Jugendanwaltschaft gemeinsam mit der Bezirksvorstehung Margareten initiiert.
Gemeinsam mit den unterschiedlichen Jugendarbeitseinrichtungen, Schulen, der Schulpsychologie, Betreuungslehrkräften, der Jugendhilfe und unter Beteiligung der Kinder- und Jugendanwaltschaft, arbeitet der Bezirk Margareten bereits seit knapp zwei Jahren erfolgreich an der Unterstützung von Jugendlichen und Familien in außergewöhnlichen Lebenslagen. Am 24. November 2016 fand der erste Workshop der Vernetzungsplattform zum Thema „Mehrkindfamilien – Unterstützung in schwierigen Lebenslagen“ statt.
Unterstützung von Mehrkindfamilien – Ergebnisse des Workshops
Wie kann eine Gefährdung von Kindern und Jugendlichen rasch erkannt werden? Wie kann auch die Elternarbeit optimiert werden? Wie sieht die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen in der Praxis aus und wo gibt es Optimierungspotenzial? Nach einem Input Vortrag von Franziska Pruckner von „gutbegleitet – Familienbegleitung“, wurden anhand von anonymisierten Praxisbeispielen Zielsetzungen und Handlungsempfehlungen erarbeitet.
Empowerment für Mädchen und Frauen
Ein wichtiger Diskussionspunkt in den Workshops war der oftmals schwierige Zugang zu den Familien: Patriarchale Familienvorstellungen und bildungsferne, einkommensschwache Milieus erschweren besonders für Mädchen und Frauen den Zugang in öffentliche Räume. In Kindertagesheimen, Schulen oder bei Arztbesuchen können mögliche Anknüpfungspunkte sein. Hier braucht es Sensibilisierung der Berufsgruppen sowie Förderung eines mehrsprachigen, interkulturellen Teams.
Kulturelle Sensibilität und Vielfalt als Ressource
Es geht nicht nur darum, dieselbe Sprache wie das Gegenüber zu sprechen, sondern auch den richtigen Ton zu finden, um kulturelle Missverständnisse zu vermeiden. „Die autochthonen Österreicherinnen und Österreicher neigen im professionellen Bereich dazu, sofort über die Probleme zu sprechen. Manche Kulturen reden aber erstmal eine halbe Stunde über das Befinden der Familie, bevor sie Unangenehmes ansprechen“, so eine Teilnehmerin. Wenn Eltern immer nur dann mit Lehrkräften oder SozialarbeiterInnen Kontakt haben, wenn es Probleme gibt, ist das Verhältnis angespannt. Lob für die Dinge, die gut laufen, kann hier einiges bewirken.
Beziehungsarbeit und Vertrauen
Von Seiten der Jugendarbeit wurde zudem die Wichtigkeit von Beziehungsarbeit betont. Viele Kinder und Jugendliche aus prekären Familienverhältnissen haben verschiedenste Beziehungsabbrüche durchgemacht – sei es in der Familie, durch mehrere Schulwechsel oder wenn sie von einer betreuten sozialpädagogischen Einrichtungen zur nächsten wandern. Fehlt eine legitime Vaterfigur in der Familie, sehnen sich gerade junge Burschen nach einer männlichen Bezugsperson, die im Bildungsbereich noch immer zu wenig präsent sind.
Auch für eine gelungene Elternarbeit braucht es ein besseres Vertrauensverhältnis zwischen den Institutionen und den MigrantInnen-Communities. Gemeinsame Projekte mit Vereinen und MigrantInnen-Netzwerken wurden angedacht.
Die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Workshop im Überblick:
- In den Workshops wurde immer wieder festgestellt, dass ein Institutionenübergreifendes Arbeiten und Kooperation notwendig ist.
- Hilfe muss früh ansetzen – Probleme summieren sich! Zeit schafft Fakten!
- Der Zugang zu Mädchen und Frauen aus stark patriarchalen Familien muss verbessert werden. Gerade Frauen, die aufgrund einer Eheschließung zugewandert sind und nicht ausreichend Deutsch sprechen, müssen gezielt gestärkt werden, um aus ihrer Isolierung auszubrechen.
- Es braucht mehr mehrsprachiges Personal bzw. transkulturelle Sensibilität im Umgang mit Familien
- Es braucht mehr männliche Bezugspersonen im Bildungsbereich
- Es fehlt an Ressourcen, die Eltern betreuen und unterstützen
- Soziale Inklusion muss mit niederschwelligen Angeboten gefördert werden (zum Beispiel gemeinsames Kochen)
- Familien, in der ein Familienmitglied oder mehrere traumatisiert sind, brauchen besondere Unterstützung. Der Ausbau an therapeutischen Angeboten ist hier unumgänglich.
Weitere Zusammenarbeit geplant
Ein wichtiger Aspekt des Workshops war auch der Austausch zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. „Unser Ziel ist es durch eine noch verstärkte Zusammenarbeit und Interaktion, bessere Lebensperspektiven für Kinder- und Jugendliche zu ermöglichen“, so Ercan Nik Nafs, Wiener Kinder- und Jugendanwalt. In den kommenden Treffen wird die Umsetzung der Empfehlungen auf lokaler Ebene besprochen.
Bezirksvorsteherin Susanne Schaefer-Wiery betonte: „Ein kontinuierlicher Austausch der verschiedenen Institutionen im Bezirk ist essentiell für eine umfassende Arbeit im Bereich der Radikalisierungsprävention bei Kindern und Jugendlichen und der Unterstützung von Familien in schwierigen Situationen. Ich bin stolz auf die gute Kooperation und die Vorbildrolle, die Margareten hier aufweist. Nur gemeinsam können wir Kindern, Jugendlichen und Familien die richtigen AnsprechpartnerInnen vermitteln und Hilfestellungen bei individuellen Problemen leisten.“
Frühe Hilfen
„Gutbegleitet“ ist eine präventive Initiative vom Kinderschutzzentrum die möwe. Sie unterstützt Schwangere und Eltern von Kindern zwischen 0 und 3 Jahren in besonderen Belastungssituationen. Das Projekt, dass seit Juli 2015 in Kooperation mit der Wiener Gebietskrankenkasse im Raum Wien West durchgeführt wird, soll präventiv gegen Vernachlässigung, Missbrauch und Gewalt wirken. Denn gerade die frühesten Kindheitserfahrungen haben starken Einfluss auf die weitere Entwicklung von Kindern.
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