Novelle Epidemiegesetz – die Lebenssituationen von Kindern müssen explizit Berücksichtigung finden!
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien vertritt als weisungsfreie Ombudsstelle die Interessen von in Wien lebenden Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Unsere Zielgruppe war in den letzten Monaten massiv von den Auswirkungen der Covid-19 Maßnahmen betroffen. Ob im Gesundheits-, Bildungs- oder Freizeitbereich – die Regelungen griffen essentiell in Rechte von jungen Menschen ein.
Die, wie im Nachhinein auch vom Verfassungsgerichtshof festgestellt, zu unklaren und damit verfassungswidrigen Covid- 19 Bestimmungen wurden von den Polizeibehörden zudem mit voller Härte vollzogen. Die Anzahl der in Wien ausgestellten Verwaltungsstrafen ist beträchtlich, so sind rund 3.400 Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. Auch wenn allen Betroffenen nahegelegt wurde, Rechtsmittel zu ergreifen, gibt es viele, die damit überfordert waren oder darauf verzichtet haben. Diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind nunmehr mit extrem hohen Geldstrafen konfrontiert, die ihre finanziellen Möglichkeiten bei weitem übersteigen.
Allgemeines zum Entwurf
Um eine Wiederholung dieser Situation zu vermeiden gilt es bei der Erstellung der gegenständlichen Novelle besonders auf die Auswirkungen auf junge Menschen Rücksicht zu nehmen. In diesem Zusammenhang wird auf den Artikel 1 des BVG über die Rechte von Kindern hingewiesen, welcher besagt, dass bei allen die Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Institutionen der Vorrang des Kindeswohls zu beachten ist. Die rechtlichen Grundlagen zur Bekämpfung der Pandemie sollten klar und bestimmt sein und auch für rechtsunkundige Personen wie Jugendliche verständlich sein. Leider lässt der gegenständliche Entwurf eine solche Prüfung des Kindeswohlvorrangs vermissen, weshalb die KJA Wien eine Überarbeitung diesbezüglich fordert.
Im Besonderen
Ad Artikel 1 Änderung des Epidemiegesetzes 1959
Z 5: Im Entwurf wird entgegen der bisherigen Praxis, dass Bezirksverwaltungsbehörden jede Anhaltung kranker Personen an die Bezirksgerichte melden müssen, geregelt, dass dies erst nach einer Anhaltung, die länger als 4 Wochen andauert, erfolgen muss. Die KJA ist der Ansicht, dass bei der Absonderung Minderjähriger weiterhin eine sofortige Meldung an die zuständigen Gerichte zu erfolgen hat. Der Rechtsschutz soll durch die Überprüfung der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen durch unabhängige Gerichte wie bisher gewährleistet werden.
Z 6: Sind von den Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen nach § 15 EpidemieG auch Minderjährige betroffen, ist bei der Erstellung von Präventionskonzepten auch das Kindeswohl zu berücksichtigen.
Ad Artikel 2 Änderung des Tuberkulosegesetzes
Z 2: Die vorgeschlagene Fassung wird als problematisch angesehen, da die Qualität der Zustellung beiderseits erheblich verletzt wird. Hier kann mangels Zustellungsnachweises laut Zustellungsgesetz sowie mangels rechtsverbindlicher Authentifizierung der handelnden Personen keine nachweisliche, rechtsverbindliche Zustellung erfolgen. Eine E-Mail ist daher keine ausreichende Übertragungsart, da dies auch einen datenschutzrechtlichen Aspekt eröffnet, dessen Folgen nicht abschätzbar sind. Der Grund dafür ist, dass hier DSGVO bedingte Datensätze und Informationen übermittelt werden können, die einer besonderen Aufbewahrungspflicht unterliegen. Gerade auf Seiten der angehaltenen Person erscheint das nicht zumutbar. Eine reine Versendung kann und darf keine qualifizierte Zustellung bewirken. Weder ist dies technisch noch administrativ nachvollziehbar oder zulässig. Im Sinne des Kindes- und Jugendwohls ist daher im Speziellen in der Übermittlung von Anträgen die Zustellung laut Zustellungsgesetz zwingend erforderlich.
Ad Artikel 3 Änderung des COVID-19 Maßnahmengesetzes
Z 3: Kritisch hervorzuheben ist die Unterscheidung des § 2 Abs 1 COVID-19-Maßnahmengesetzes zwischen bestimmten Orten und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit. Mangels weiterer Ausführungen, welche bestimmten Orte gemeint sein könnten, könnten somit auch private Orte umfasst sein. Es besteht seitens der KJA Wien die Sorge, dass auch diese Regelung zu unbestimmt und daher verfassungswidrig sein könnte. Verfassungskonforme Grundlagen der Tätigkeit der Vollziehung müssen ein gewisses Ausmaß an Bestimmtheit aufweisen um dem Rechtsstaatsprinzip zu entsprechen.
Der Vorrang des Kindeswohls ist in der österreichischen Bundesverfassung normiert und sollte auch seinen Niederschlag in der Gesetzgebung zur Bekämpfung der Covid-19 Pandemie finden. Der Entwurf sollte aus Sicht der KJA Wien überarbeitet werden.