Nicht genügend! KIJA-Stellungnahme zu Gesetzesänderungs-Entwurf für Schulen

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs erteilen der Regierung für die geplanten Änderungen von Gesetzen im Schulbereich ein klares „nicht genügend“. Der Entwurf des Bundesgesetzes, mit dem das Schulorganisationsgesetz, das Schulunterrichtsgesetz und das Schulpflichtgesetz 1985 geändert werden soll, ist nach Auffassung der KIJAs gänzlich abzulehnen, da er dem Wohl des Kindes widerspricht. Besonders starke Kritik richtet sich gegen die angedachte Einführung von separaten Deutschförderklassen, die Segregation und Benachteiligung von Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch benachteiligen.

Laut österreichischer Bundesverfassung müssen alle Entscheidungen das Wohl des Kindes berücksichtigen, dieses vorrangig behandeln und Kinder vor Benachteiligung und Diskriminierung schützen. Die Sinnhaftigkeit einer zusätzlichen schlechter gestellten Schulstruktur für Kinder, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen, ist nicht gegeben.

Das Gesetzesvorhaben schafft für eine unverhältnismäßig langandauernde Zeit eine deutliche Benachteiligung für schulpflichtige Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Aufgrund des vorliegenden Gesetzesvorhabens kann den Kindern mit nicht „ausreichenden Deutschkenntnissen“ bis zu zwei Unterrichtsjahre der Regelunterricht verwehrt werden. Der Entwurf bleibt zudem eine genaue Definition „ausreichender Deutschkenntnisse“ schuldig und die Beschreibung der Instrumente, mit denen die „ausreichenden Deutschkenntnisse“ der Kinder gemessen werden.

Das Vorhaben im Gesetzesentwurf, dass Kinder im Volksschulalter Klassen wiederholen müssen, erachtet die KJA als eine weitere Diskriminierung.

Segregation bringt nur Nachteile

Um zu wissen, wie wenig erfolgsversprechend für die Integration, das von der Regierung vorgeschlagene Modell ist, reicht es, zum deutschen Nachbarn zu schauen. In Berlin wurden sogenannte „Willkommensklassen“ für neuzugewanderte Kinder eingeführt, die identisch zum Vorhaben des vorliegenden Entwurfes organisiert sind. Eine durch die Beauftragte der deutschen Bundesregierung für die Flüchtlinge, Migration und Integration unterstützte Untersuchung zeigt mehrere Problembereiche in sogenannten „Willkommensklassen“ auf.

Die Untersuchung stellt zudem fest, dass dort, wo Kinder in altersentsprechenden Regelklassen unterrichtet wurden und ergänzende Sprachförderung erhielten, weitaus weniger organisatorische Probleme auftraten als in den „Willkommensklassen“. Ein weiterer Vorteil bei der direkten „Eingliederung der neu eingewanderten oder sprachlichen schwachen Kinder in die Regelklasse“ war die ausbleibende Stigmatisierung der Schülerinnen und Schüler als gesonderte Gruppe.

Der im Gesetzesentwurf geplante Ausschluss der Kinder in den Deutschförderklassen von der Schülervertretung, dem Schulforum und dem Schulgemeinschaftsausschuss ist eine schwere Verletzung des Rechtes der Kinder auf Partizipation und Mitbestimmung und ist eindeutig zu verurteilen. Zudem stellt dieser Ausschluss ein wesentliches und unverständliches Versäumnis dar, jungen Menschen demokratische Werte zu vermitteln.

Entwurf voller Unklarheiten

Der vorliegende Entwurf spricht von Lehrpersonal mit DaZ- und DaF-Ausbildung. Es ist nicht näher verständlich, ob diese Lehrpersonen zusätzlich zu ihrer pädagogischen Grundausbildung diese Zusatzausbildungen vorweisen müssen oder ob es als ausreichend gesehen wird, dass das Lehrpersonal für den Deutschförderunterricht nur eine DaF- oder DaZ-Ausbildung, aber keine pädagogischen Qualifikationen hat. Die zuvor erwähnte Untersuchung zu „Willkommensklassen“ kommt zum Schluss, dass integrativ arbeitende Schulen auch deshalb so erfolgreich sind, weil die Kinder zumeist von ausgebildeten Grundschullehrkräften unterrichtet werden und die gesamte Regelklasse Unterstützung durch DaZ-geschulte Lehrkräfte erhält. „Die Regelklasse folgt einem altersentsprechenden Curriculum und Fachunterricht ist gewährleistet“ (ebd.).

Sprachstartgruppen und Sprachförderkursen waren bereits seit 1. September 2016 möglich: SchülerInnen, die wegen mangelnder Kenntnis der Unterrichtssprache nicht als ordentliche SchülerInnen aufgenommen wurden, sollten vor dem vollständigen Eintritt in den Regelunterricht, in eigenen Sprachstartgruppen intensiv in der Unterrichtssprache Deutsch soweit auf den Regelunterricht vorbereitet werden, dass sie in diesen vollständig übertreten und folgen können. Aufbauend auf dem erfolgreichen Besuch einer Sprachstartgruppe sollte nach dessen Beendigung die Sprachförderung in Form eines Sprachförderkurses fortgesetzt werden.

Diese Maßnahme wurde zum Zweck der Evaluierung mit insgesamt drei Schuljahren (2016/17, 2017/18 und 2018/19) befristet. Eine entsprechende Evaluierung hätte bis 31. Jänner 2019 erfolgen sollen, wobei als Schwerpunkte der Evaluierung insbesondere die Wirkungen der Sprachförderungsmaßnahmen und die Effizienz des damit zusammenhängenden Ressourceneinsatzes unter Einbeziehung der entsprechenden Erlässe des Bundesministeriums für Bildung und Frauen geplant waren. Nun hat die Regierung jedoch den Vorschlag einer Gesetzesänderung des SchOG vorgelegt, bevor eine Evaluierung des § 83 Abs. 4 erfolgt ist. Hier wird ohne nachvollziehbare Begründung auf wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Sprachförderung verzichtet.

Schule als Schutzraum und Ort der Entfaltung

Wie am Beginn festgehalten, erachten die Kinder- und Jugendanwaltschaften aller neun Bundesländer den vorliegenden Entwurf zur Gänze gegen das Wohl des Kindes und ersuchen die verantwortlichen Entscheidungsträgerinnen und -träger von Ihrem geplanten Vorhaben Abstand zu nehmen.

Gleichzeitig wollen wir der Bundesregierung für eine gegenwarts- und zukunftsorientierte Schule die Empfehlung aussprechen, dass die Schule für Kinder zu einem Ort der Entfaltung und des Schutzes sowie des Friedens entwickelt werden sollte. Die Kinder benötigen in den Schulen – unter der Einbeziehung der Eltern – unabhängig von Sprachkenntnissen sowie ethnischer, sozialer und kultureller Zugehörigkeit eine gesetzlich sichergestellte alters- und kindgerechte pädagogische und sozialarbeiterische Betreuung, die den Kindern die besten Chancen für die Gegenwart und Zukunft sichert.

Weitere Informationen

Stellungnahme der KIJAs zum Gesetzesentwurf